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Sabine Ist hier Zuhause
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| Thema: Mein Vater So 20 Jun 2010, 21:28 © Sabine | |
| Hallo, ich weiß nicht ob ich mit meinem Post in diesem Bereich richtig bin, habe mich heute erst angemeldet...
Ich möchte versuchen, mich beim Erzählen möglichst auf das Wesentliche zu beschränken: Meine Eltern sind vor einigen Jahren von der Region Hannover nach Ostfriesland gezogen, auch mich hat es vor anderthalb Jahren beruflich hierher verschlagen und ich wohne 50km von meinen Eltern entfernt.
Seit einigen Jahren schon hat mein Vater, jetzt 73 Jahre alt, sich verändert. Er wurde immer antriebsärmer, fixierte sich sehr stark auf meine Mutter, hatte jede Menge, auch ernsthafte Erkrankungen, er wurde "grantelig" und beschäftigte sich vornehmlich mit den negativen Seiten des Lebens. Lange Zeit haben wir verkannt, dass wohl bereits eine beginnende Demenz dahinter steckte.
Im Dezember letzten Jahres hatte er eine Herz-OP, und noch in der Reha war er plötzlich vollkommen durcheinander. Er redete unzusammenhängend, konnte nichts über seinen Tagesablauf berichten und war völlig fixiert auf den Wunsch, nach Hause zu kommen.
Endlich zu Hause, besserte sich das vorerst, dann aber nahm wohl die Demenz ihren Lauf. Er wurde immer unselbständiger, sprach weniger, war teilnahmsloser. In den letzten Wochen ließ er meine Mutter nicht aus den Augen, in panischer Angst, sie würde ihn verlassen, er weckte sie nachts und wusste dann nicht, warum. Er war nicht mehr in der Lage, sich selbst zu waschen und anzuziehen, der Pflegedienst musste kommen. Wurst und Käse wurden von ihm in die Spülmaschine gelegt, er stand nachts auf und aß alles was er im Kühlschrank finden konnte, ein ganzes Päckchen Schnittkäse pur zum Beispiel. Und so weiter und so weiter...
Vor zweieinhalb Wochen hatte er abends leichtes Fieber und war völlig desorientiert. Er wurde noch in der Nacht ins Krankenhaus eingeliefert, wo man eine Lungenentzündung diagnostizierte. Vom Krankenhaus aus wurde er in die Psychiatrie verlegt und von dort aus seit letztem Freitag in ein Pflegeheim.
Dort habe ich ihn gestern zum ersten Mal besucht und hätte, als ich ihn sah, augenblicklich in Tränen ausbrechen können. Im Heim war Sommerfest, wohl zu diesem Anlass hatte man meinem Vater einen albernen Hut in den Farben der Deutschlandflagge aufgesetzt, was nicht im geringsten seiner Stimmung entsprach. Es war offensichtlich, dass er unter dem Einfluss von Psychopharmaka stand. Er war sehr ruhig und gedämpft und ich fand ihn mit einem Bauchgurt am Stuhl fixiert vor. Der Pflegedienstleiter erklärte mir, dies sei reiner Selbstschutz, denn es bestünde Sturzgefahr.
Mein Vater deutete mir an, ich solle mich zu ihm hinuterbeugen, dann raunte er mir zu, ob ich ihm nicht helfen könne, dort wegzukommen.
Ich blieb eine Weile bei ihm und versuchte, mich mit ihm zu unterhalten. Mein Hund war dabei, die beiden lieben sich sehr und ich glaube, das tat meinem Vater gut. Irgendwann sagte er mir, er sei "ganz schön abgefallen", auf Nachfrage was er damit meint, sagte er: "na so mental und moralisch". In dem Moment hatte ich das Gefühl, er weiß, dass er nicht mehr nach Hause kommen wird.
Nach dem Besuch, während dem ich mich gerade noch zusammenreißen konnte, ging ich heulend mit meinem Hund im Wald spazieren.
Heute war ich wieder in dem Heim. Mein Vater war ein wenig wacher, wieder hatte ich den Eindruck dass er um seine Situation weiß. Heute sagte er mir, er wolle nicht mehr leben, er würde sich gern das Leben nehmen. Er tätschelte mir das Gesicht und den Arm, ich weiß nicht, wann er das zuletzt gemacht hat.
Das Ganze macht mich unendlich traurig, ich würde ihm so gern helfen und weiß nicht, wie. Für mich ist es unerträglich, zu wissen, dass er in diesem Heim an seinem Wohnort und in meiner Nähe nicht bleiben wird. Meine Mutter möchte die Kosten für die Heimunterbringung aus eigener Kraft tragen und auf keinen Fall zum Sozialamt. Sie hat ein Heim in 350km Entfernung gefunden, in das mein Vater verlegt wird sobald dort ein Platz frei wird. Das Heim befindet sich in der Region Hannover und ist so kostengünstig dass der Gang zum Sozialamt nicht notwendig sein wird. Da meine Eltern aus der groben Gegend kommen, wird meine Mutter langfristig das Haus hier verkaufen und auch dort in die Nähe ziehen. Nur, bis dahin ist mein Vater dort allein. Meine Schwester wohnt nicht weit entfernt, sieht das Ganze aber weit pragmatischer als ich. Sie ist selbst beruflich in der Pflege Demenzkranker beschäftigt, zeigt sich aber für meine Begriffe bezüglich meines Vaters eher herzlos. Ich bin übrigens Logopädin und habe im Laufe der Jahre viel mit schwerstkranken Menschen zu tun gehabt. Jetzt, wo es mich persönlich betrifft, sehe ich mich emotional komplett überfordert.
Ich hätte meinen Vater gern hier in meiner Nähe gehabt, habe auch versucht, ein günstiges Heim zu finden. Leider gibt es hier nichts, was mit unseren finaziellen Mitteln machbar wäre. |
| | | sylvia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Mein Vater Mo 21 Jun 2010, 07:19 © sylvia | |
| liebe Sabine, es ist ein schweres Schicksal, wenn jemand in der Familie an Demenz erkrankt. Wie ich aus Deinen Zeilen lese, bist Du sehr herzlich und eng mit Deinem Vater verbunden. Es tut weh, ich weiß das. Auch ich brauchte etwas, um zu begreifen, was mein Papa hat und wie man damit umgeht. Zu einem Seniorenplatz kann ich nur sagen, sucht nicht nur nach dem was günstig ist. Sondern so, daß es dort eine Demenzabteilung gibt, sie sich mit den Kranken beschäftigen, wie das Essen ist usw. wir haben hier im Forum mal alle wichtigen Punkte aufgeführt. Tiere sind für Demenzkranke sehr wichtig. Eine Dame hier aus dem Forum hat im Raum Hannover eine schlechte Erfahrung gemacht mit einem Stift. Ich wünsche Dir ganz viel Kraft. LG Sylvia
Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.
Zuletzt von sylvia am Di 22 Jun 2010, 07:58 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet |
| | | Sabine Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Mein Vater Mo 21 Jun 2010, 07:59 © Sabine | |
| Danke für deine lieben Worte, Sylvia... Bei der Suche nach einem Heim konnte leider meine Schwester sehr schnell mit dem "Billigsten" aufwarten. Das Heim ist in Springe.
Da meine Mutter die Heimunterbringung unbedingt ohne Sozialamt machen will, wird es nun dieses Heim werden. Ich bin da in einer großen Zwickmühle, kann ja nur meine Einwände bringen aber habe auf die Entscheidung leider keinen Einfluss. Hier bei mir, fünf Minuten von meinem Arbeitsplatz entfernt, ist ein Heim, in dem ich meinen Vater gern gesehen hätte. Ich kenne das Heim, bin dort manchmal beruflich, und ich hätte ihn täglich nach der Arbeit besuchen können. Das Haus ist aber zu teuer.
Ganz große Schwierigkeiten macht mir die Tatsache, dass eine gute Unterbringung an den finanziellen Mitteln scheitert.. |
| | | sylvia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Mein Vater Mo 21 Jun 2010, 08:10 © sylvia | |
| Liebe Sabine, schade das nicht alle an einem Strang ziehen. Man sollte über seinen Schatten springen und ruhig das Sozialamt in Anspruch nehmen. Ich habe ehrenamtlich in einem Stift gearbeitet und hatte dadurch Einblicke. Meinen Vater hätte ich dort nie wohnen lassen. Ich wählte eines welches 10 km entfernt ist und er dort sich auch wohlfühlte. Aber ich hatte den Vorteil allein entscheiden zu können. LG Sylvia
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| | | Sabine Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Mein Vater Mo 21 Jun 2010, 08:21 © Sabine | |
| Ja, das ist wirklich ein Vorteil. Wie gesagt, meine Schwester sieht das, vorsichtig ausgedrückt, pragmatisch. Sie ist der Meinung, mein Vater würde es sowieso nicht mitbekommen ob man nun jeden Tag, einmal in der Woche, oder alle zwei Monate kommt um ihn zu besuchen. Selbst wenn es so wäre finde ich diese Einstellung herzlos. Zudem hat sie ihn, da sie rund 300 km entfernt wohnt, sehr lange nicht gesehen und kennt seinen jetzigen Zustand nur durch Berichte meiner Mutter. Alle, auch die Ärzte, raten meiner Mutter, jetzt möglichst großen Abstand zu meinem Vater zu halten damit sie sich nicht selbst kaputt macht.
Aber ich habe ja gerade gestern mit meinem Vater gesprochen. Irgendwie weiß er genau um seinen Zustand und seine Situation, ich finde, damit kann man ihn jetzt einfach nicht so allein lassen. Aber es wird so sein, wie gesagt, den Gang zum Sozialamt lehnt meine Mutter kategorisch ab. Bleibt mir nur, das Beste daraus zu machen und dann so oft es mir möglich ist die Reise nach Springe anzutreten. Das wird jedoch eine Besuchsfrequenz, der alles in mir widerspricht. |
| | | sylvia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Mein Vater Mo 21 Jun 2010, 09:48 © sylvia | |
| Liebe Sabine, das ist schon richtig, sie haben kein Gefühl mehr für die Zeit. Aber es kommt nicht nur auf die Besuche an, sondern das drumherum. Wie die Zimmer sind, ob Einzelzimmer, ob man Möbel mitbringen darf, Bilder anbringen. Der Umgang mit der Person.... Hat Deine Mutter schon mal errechnet wie hoch die Spritkosten wären? Es ist besonderst schwer, wenn der Partner diese Krankheit hat. Man hat Pläne gemacht, sie wollten bestimmt alt werden in Ostfriesland! Dann kommt diese Krankheit, alles ist über den Haufen geworfen. Man muss umdenken. LG Sylvia
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| | | Admin Administrator
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| Thema: Re: Mein Vater Mo 21 Jun 2010, 09:53 © Admin | |
| Liebe Sabine Erstmal auch von mir ein herzliches Willkommen im Forum Ich schliesse mich den lieben Worten von Sylvia an, die schon die wesentlichsten Punkte erwähnt hat. Es tut mir immer wieder von neuem weh, das oftmals diejenigen mit dem meisten Mitgefühl und Verständnis am wenigsten zu sagen haben. Ich kann deine Ohnmacht und deine Verzweiflung sehr gut nachvollziehen. Deine Überlegungen und Gedanken haben Hand und Fuss und zeigen mir wie du das Herz am rechten Fleck hast. Es ist traurig, das die Sturheit deiner Mutter alles selber bezahlen zu wollen, unweigerlich auf Kosten deines Vaters ausgetragen wird. Da kommt bei mir schon die Frage auf, wie eigentlich ihre Beziehung über die (gesunden) Jahre hindurch war. Spätestens in Bezug auf deine Schwester kann ich nur den Kopf schütteln. Da anscheinend auch sie schon zufrieden zu sein scheint, wenn das Wohnen deines Vaters, nach Wunsch deiner Mutter, finanziell passt. Du scheinst wirklich die einzige zu sein, die ein gutes Gespühr für die Situation eures Vaters hat. Weil auch wenn er innerhalb ein paar Stunden schon wieder vergessen hat, das jemand bei ihm zu Besuch war, so wird dennoch eine längere emotionale Auswirkung auf sein Wohlbefinden da sein. Ein guter, erfüllter Tag gibt nun mal (nicht nur bei Dementen) eine ruhigere, bessere und erholsamere Nacht. Der emotionale Tank deines Vaters kann gefüllt sein, oder auch nicht, unabhängig ob er noch im Stande ist den Grund dazu formulieren zu können. Wohl- oder nicht Wohlbefinden ist unabhängig des Erinnerungsvermögens gegeben. Sicherheit, Geborgenheit, Nähe, sowie das Gefühl zu haben Verstanden zu werden, spielen sich bei uns allen hauptsächlich auf der emotionalen Ebene ab. Aber das weisst du alles schon, wie wir anderen hier im Forum auch. Wer würde sich sonst hier anmelden, wenn nicht das Wohlbefinden eines nahen Anghörigen einem am Herzen liegen täte. Leider hast du wirklich keine andere Wahl, als entweder aus der Situation das Beste zu machen, oder die jetzige Betreuungsvollmacht deiner Mutter gerichtlich anzufechten. Aber auch das würde erstmals wieder wertvolle Zeit deines Vaters verstreichen lassen und vorallem zwischen dir, deiner Mutter und deiner Schwester einen Streit auslösen. Was unheimlich viel Kraft kosten könnte - Kraft die dann wiederum eventuell für deinen Vater fehlen würde....Ja, ich kann dein Dilemma gut verstehen.... Unabhängig was du tun wirst, so ist aber nur schon die Tatsache, das dir dein Vater am Herzen liegt, auch ein Geschenk für ihn. Du tust was du kannst und dabei kann man leider manchmal wirklich nur zwischen dem grösseren und dem kleineren Übel wählen. Auch wenn wir uns für jemanden, aus ganzem Herzen, nur das aller Beste wünschen würden. Ich wünsche dir viel Kraft und sende dir herzliche Willkommensgrüsse Ursula
Liebe Grüsse
"Trauer ist ein Teil des Lebens, aber sie darf nicht das ganze Leben werden." |
| | | Sabine Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Mein Vater Mo 21 Jun 2010, 10:20 © Sabine | |
| Liebe Ursula,
vielen Dank für deine Zeilen. Du hast in Worte gefasst, was ich fühle.... |
| | | Biggi Moderator
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| Thema: Re: Mein Vater Mo 21 Jun 2010, 13:57 © Biggi | |
| Liebe Sabine, Ursula und Sylvia haben es schon auf den Punkt gebracht. Ich sehe es auch so, dass du wirklich die Einzigste bist, der es in erster Linie um das Wohlergehen deines Vaters geht, und nicht um Geld. Es macht mich traurig, so was lesen zu müssen, und dass deine Mutter sich so sperrt, fremde finanzielle Hilfe anzunehmen. Da stellt sich auch mir die Frage, worum es eigentlich geht... Es tut mit Leid, dass deine Mutter ihre Entscheidung gefällt hat. Ich wünsche dir ganz viel Kraft und noch ganz viel schöne Stunden mit deinem Vater. LG Biggi
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| | | Sabine Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Mein Vater Mo 21 Jun 2010, 18:55 © Sabine | |
| Danke schön, Biggi.
An alle, die mir hier geschrieben haben möchte ich sagen, dass es wirklich gut tut, auf Verständnis zu treffen. Zumal ihr ja offensichtlich alle eine ähnliche Geschichte habt und nicht nur verstehen, sondern nachvollziehen könnt. Ich glaube, ich bin ganz schön froh, dieses Forum gefunden zu haben! |
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