Heute vormittag habe ich wieder im Heim angerufen, wie es Mutti geht. Ich tue mir Gewalt an, diesen Anruf nur einmal die Woche zu machen, weil ich ganz genau weiß, dass alle dort eh schon am Limit arbeiten und ich nicht unnötig zur Last fallen will.

Aber diese Zwischentöne... Die Hintergrundgeräusche oder wie die Stimme der Schwester abfällt, als ich sie frage, ob sie es noch schaffen ... oder auch, dass sich neuerdings immer wieder neue Namen melden und auch gleich dazu sagen: "Ich bin neu hier!"

Aber heute hatte ich Glück im Unglück: Ich bekam eine Schwester an die Strippe, die ich gut kenne und die das ist, was ich quadratisch, praktisch, gut nenne.

Nach dem obligatorischen "Deiner Mutter geht es den Umständen entsprechend gut." etc. - und ich erwarte ja nichts Anderes zu hören. Zum Einen kenne ich meine Mutti, die sich nie beklagt, selbst, wenn ihr das Blut aus den Ohren laufen würde. Zum Andern weiß ich, das ein Anruf käme, täte sich Muttis Situation verschlechtern ... 

... jo, aber diesmal mit dieser Schwester kam von ihrer Seite der Vorschlag, ob sie nicht einfach mal mit dem Telefon zu Mutti gehen soll?! - Ich wagte mein Glück gar nicht zu fassen, aber auch in "unserem" Heim ist angekommen, dass auch dergl Kontakte mehr als gut, wichtig und richtig speziell für die dementen Bewohner sind. Die Schwester betonte, dass schon bemerkt wurde, dass dann die dementen Bewohner deutlich klarer seien.

Während sie mit dem Hörer den Weg vom Pflegestützpunkt zu Mutti ging, bekam ich den ganzen Stress mit, der auf den Schultern des Pflegepersonals lastet. Nach gefühlten Werten musste diese Schwester ( = Pflegefachkraft) auf diesem relativ kurzem Weg noch mindestens 1000 Leben retten ... naja, sie wurde angesprochen, antwortete geduldig: "Da kümmer ich mich gleich drum, ich gehe nur eben mit dem Telefon zu Frau ...". - Im nächsten Schritt eine andere Stimme, mit der sie sich wieder unterhalten musste. - Wieder ein Schritt und sie von sich aus, wohl rückwärts rufend: "Schliesst doch bitte da die Tür, Frau XY läuft sonst wieder davon!" - Und so weiter. Bis sie dann lächelnd sagte: "Oje, jetzt habe ich vergessen, anzuklopfen." Und dann hörte ich, wie sie Mutti begrüsste. Und zum ersten Mal seit über 2 Wochen hörte ich im Hintergrund Muttis Stimme!   

Und bekam meine Mutti an den Telefonhörer. Die Freude in Muttis Stimme, als sie mich erkannte!  

Ich musste nur kämpfen, nicht loszuheulen und richtete die lieben Grüsse von meinem Mann und meinem Bruder und seiner Frau aus. Mutti ganz perplex, weil sie glaubte, alle drei stünden um mich herum. Und selig!  

Wir hatten nicht viel Zeit, aber ich bat sie noch, durchzuhalten, bis diese blöde Sperre wegen dem ollen Virus vorbei ist! Da spürte ich, wie sehr Mutti mich vermisst und genauso wie ich keinen Nerv mehr auf diese vermalichte Kacke hat.

Während ich ihr noch sagte, dass ich sie liebe, hatte ich schon wieder die Schwester am Ohr. Ich selbst bestand nur noch aus Gänsehaut mit Tränen in den Augen.

Wäre am liebsten durchs Telefon gekrabbelt, um mich bei dieser lieben Schwester zu bedanken. Tat es rasch mit Worten.

Und hab, nach dem Telefonat, erstmal ne Runde geheult.

Es ist und bleibt das Schwerste und das Schönste -
Mutti, ich vermisse Dich so sehr!!!

Hab mich wieder gefasst und meinen Bruder angerufen. Um diesen Augenblick auch mit ihm zu teilen. Wofür er mir dankbarer war, als man in Worte fassen kann. 

Und dann bin ich raus, eine Rauchen. Und hab nochmal geheult. 

Wenn ich einen Wunsch frei hätte,
wünschte ich mir,
Mutti lebt noch,
wenn diese Sperre wieder aufgehoben wird!

 

Brachte gestern, wie in den vergangenen vier Wochen des Besuchsverbot, Muttis Lieblingsjoghurt, ihren heiß geliebten Orangensaft und die frisch gewaschenen Halstücher im Heim vorbei.
Wie immer gleicht die Übergabe ein wenig wie bei der Mafia. Klingeln, jemand meldet sich durch die Gegensprechanlage, dann öffnet sich die Außentür, ich stelle den Korb in den Zwischenraum, gehe zurück, eine Schwester kommt, die Innentür öffnet sich und das Paket wird rein geholt.
Gestern rief mir die Schwester zu, dass bei dem warmen und sonnigen Wetter die Bewohner auf der großen Terrasse Richtung Innenhof/Südseite sitzen und ich Mutti sehen könnte.
Wohlgemerkt : ich im Parterre, die Terrasse im ersten Stock. Trotzdem hätte mich dieser Verstoß gegen die Quarantäne Maßnahmen hier in Sachsen 150€ gekostet....
Die Schwester war so nett, Mutti ans Geländer zu fahren und......sie winkte mir zu. Etwas ungelenk, aber sie hat mich erkannt. Nach vier Wochen, ich hatte befürchtet, dass ich ihr fremd geworden bin, dass ich in ihrem Vergessen untergegangen bin.
Und dann dieses Winken - das Beste, was mir in den letzten Tagen passiert ist.
Bin dann heulend nach Hause gefahren, ich hasse dieses Virus!

haltet durch ihr Lieben

felixx schrieb:

Und dann dieses Winken - das Beste, was mir in den letzten Tagen passiert ist.

Ach felixx! Es wird ganz sicher vorbeigehen!! Aber wir müssen noch ein wenig durchhalten!!

felixx schrieb:

Und dann dieses Winken - das Beste, was mir in den letzten Tagen passiert ist.
Bin dann heulend nach Hause gefahren, ich hasse dieses Virus!

Oh, felixx, ich fühle mit Dir!!!
Genauso ging es mir, als ich Mutti am Telefon hatte. Danach habe ich in Deinem anderen Thread noch wieder gelesen und festgestellt ... völlig erstaunt festgestellt ... dass ich Mutti ja auch Briefe schreiben kann ...

Hab mich dann am Boden zerstört zu meinem Mann ins Wohnzimmer gesetzt und ihn gefragt, wieso ich nicht selbst darauf gekommen bin???


Ganz gegen seine Gewohnheit hat er dann mal so richtig eine längere Ansprache an mich gehalten. Wie viel ich in all den vergangenen Jahren so selbstlos für Mutti getan habe und seit so vielen Jahren täglich bei ihr war. Welche Opfer ich dafür gebracht habe und z.Z. im Grunde doch nur noch dafür lebe. Und so weiter und es von daher kein Wunder ist, dass ich mich einfach auch einmal selber verliere ...



Dadurch ist mir klar geworden, dass ich ziemlich sehr vermutlich seit dieser fürchterlichen Corona-Beschränkung, also seit ich am 16ten März letztmals bei Mutti war und dann am 17ten der Anruf kam, ich darf erstmal nicht mehr kommen, in eine Depression geschliddert bin.

Nachdem ich dann Mutti am Telefon hatte, hätte ich mich am liebsten im Bett vergraben und wäre bis ans Ende meiner eigenen Tage nie wieder rausgekommen. Stattdessen sprach ich mit meinem Mann und begriff, wie betroffen ich von dieser Scheiße bin...

Keine Ahnung wieso, aber seit dieser Erkenntnis geht es mir einen Millimeter besser. Anderntags habe ich dann erstmal einen Brief (mit Din-A-4-Seiten-großen-Bildern) für Mutti gebastelt und zum Heim gebracht. Plus Osterblumen fürs Personal, einen ganzen Korb voll.

Der Herzschmerz wird nicht weniger, aber ich komme aus einer Reihe stolzer Frauen, die wie meine Oma die Spanische Grippe, den 1. und dann den 2.Weltkrieg samt Verlust des eigenen Mannes überstanden haben. Oma brachte meine Mutter zur Welt, die für mich in den letzten Jahren ein echtes Vorbild wurde, weil sie im Gegensatz zu mir so unglaublich bescheiden und demütig, dabei aber das Gegenteil von dumm oder naiv ist. In den lichten Momenten ihrer Demenz strahlt ihr guter Geist mit einer Macht, dass ich mir immer nur so wünsche, später mal ein bißchen so "gut" zu werden wie sie.

Was Du, liebe felixx, davon mitnimmst - Dein Weg ist natürlich ein anderer. Mir tat es nur grade gut, nicht alleine zu sein in diesen traurigen Tagen! Bitte gib die Hoffnung nicht auf und bleib gesund!

felixx schrieb:

sie winkte mir zu. Etwas ungelenk, aber sie hat mich erkannt. Nach vier Wochen, ich hatte befürchtet, dass ich ihr fremd geworden bin, dass ich in ihrem Vergessen untergegangen bin.
Und dann dieses Winken - das Beste, was mir in den letzten Tagen passiert ist

das freut mich so sehr für dich liebe felixx

   

 

Ihr lieben tapferen Angehörigen,

ich kann mir gut vorstellen, wie schwer diese Zeit für euch und eure Lieben ist.

Wenn ich ehrlich bin, bin ich dankbar, dass mein Papa das nicht mehr erleben muss.

Gestern habe ich im NDR einen Bericht gesehen, traurig aber auch fürs Herz....

https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Die-Coronakrise-Aus-Liebe-ins-Seniorenheim,sendung1008796.html


Passt auf euch auf!

Habe soeben den Bericht angeschaut liebe Ann. Ja, da bekommt man echt Pippi in die Augen und ich musste auch oft leer schlucken..... Sehr, sehr eindrücklich und sehenswert. Danke für diesen Link

danke liebe ann

so rührend, und es macht so deutlich, wie schwer
es jetzt alle angehörigen haben.
es tut mir immer unsagbar leid, wenn ich unseren
angehörigen am telefon besuchsabsagen geben muss.
ich hoffe, die situation entschärft sich bald, denn es ist für
alle seiten ob bewohner, angehörige oder auch personal
bald unerträglich

Das ist wirklich ein sehr berührender Bericht, danke dir dafür.  

Einerseits sehr traurig, aber andererseits auch erfreulich zu sehen, welche Ideen sich entwickeln, um alles etwas erträglicher zu machen. 

Zitat :

ich hoffe, die situation entschärft sich bald, denn es ist für
alle seiten ob bewohner, angehörige oder auch personal
bald unerträglich

Das glaube ich sofort. Und ziehe vor allen Beteiligten wirklich meinen Hut, die mit diesen Einschränkungen und Belastungen derzeit leben müssen. 

Auch von mir aufrichtigen Dank für diesen Beitrag, liebe Ann ... MEIN erster Gedanke: "Ich bin zu jung, dass die mich aufnehmen... "


Ach menno, gestern bei meinem Arzt wurde mir, weil ich mit ihm reden musste, wie es mir geht, es so richtig klar, wie es mir geht. Während ich mir selber zuhörte. Dieser Widerstreit zwischen Herz und Vernunft... Mein Herz weint. Jeden einzelnen Tag! Und schreit mich täglich an, dass Mutti nicht am Virus, sondern an Trauer und Einsamkeit sterben wird. 

Jeden verdammichten Tag ziehe ich mir die Nachrichten rein und REDE MIR EIN, dass es so sein muss. Mit diesem grausamen Besuchsverbot. Aber ich rede es mir nur ein. Jeden einzelnen Tag aufs Neue. Während mein Herz weint. 

Mein Arzt fragte, ob ich Mutti nicht wenigstens von weitem zu winken könnte. Nein, das geht nicht. Sie ist ja schon fast blind. Dann lehnte er sich zurück und meinte, es wäre gut, könne man jeden Besucher an der Tür testen mit einem Schnelltest und die, die negativ sind, dürfen zum Besuch rein. Ehrlich gesagt war ich entsetzt. Gesagt habe ich nur, eine schöne Idee, die aber Mutti und mir nicht zugute kommen wird (weil Utopia). 

Ich hatte Mutti ja einmal am Telefon und das ist, was mich nicht mehr los lässt. Ihre Sehnsucht und Verzweiflung, die im Bruchteil einer Sekunde aufblitzte. Sie vermisst mich. Ihre Aggi, die ihr seit Jahren sagt, ich bin immer für Dich da und kämpfe wie ein Löwe für Dich! Mir vorzustellen, wie Mutti da liegt und die Welt nicht mehr versteht, es bringt mich um, bloss dass ich nicht die Gnade erlebe, daran zu sterben. So bleibt dieser Corona-Virus mit all seinen Auswirkungen für mich die schlimmste Folter, die ich je erleben durfte.

Dieser Virus macht, dass Menschen zum Wohle anderer sterben, damit nicht noch mehr sterben. Und es gibt keine Lösung. Also möchte ich, bitteschön, wenn ich noch einmal auf die Welt kommen sollte, bitteschön nur noch als Maulwurf auf die Welt kommen, weil die stehen unter Artenschutz ...

Bei uns wird das Leben wieder schrittweise hochgefahren. Geschäfte unter 400m2 haben wieder offen, aber alles mit Maskenpflicht. Mal schauen, wie diszipliniert die Menschen sind - das ist das Maß der Beschränkungen!

 

Bei uns teilweise auch. Allerdings max 800 qm. Alles sehr fragwürdige und unterschiedliche Vorgehensweisen. Bin gespannt, wie das werden wird. Es gibt hier schon genug Verstöße. Hoffentlich ist das für die Uneinsichtigen kein Freibrief...

Schönes Wochenende allen, macht das Beste draus und bleibt gesund.